Es ist ein Lernprozess!

Teil 3: Eine Runde liebevolle Anerkennung für unsere Umlernprozesse als Eltern, bitte!

Es ist ein Lernprozess! - Teil 3

by Sophie Schönwälder | #Elternmantras

#Elternmantras nenne ich kleine Sätze, Zeilen oder Wörter, die ich mir im Elternalltag immer wieder selbst vorsage, und die mir dabei helfen, mit gewissen Situationen oder Emotionen besser zurecht zu kommen. In dieser Serie möchte ich einige davon mit euch teilen – auf dass sie auch euer Elternleben entlasten und bereichern können.

Vorletzte Woche habe ich euch ein #Elternmantra vorgestellt, das mich auf Schritt und Tritt begleitet: „Es ist ein Lernprozess!” oder, wenn euch das besser gefällt: “Wir sind alle Lernende!”. Nachdem wir diesen liebevollen, anerkennenden Blick zuerst auf unsere Kinder und dann auf uns selbst als Eltern gelenkt haben, möchte ich mich heute noch ganz gezielt mit einer besonderen Art von Lernprozessen auseinandersetzen, die bei all jenen Eltern ständig mitläuft, die es sich zum Ziel gesetzt haben, etwas “anders” zu machen – anders als die eigenen Eltern, anders als der Mainstream der Gesellschaft, anders als es unsere kollektive Prägung es vorsehen würde…

Kleine Geschichte des “Anders Machens”

Rückblende, sagen wir mal, so ungefähr 25 Jahre in die Vergangenheit:
Das Kind hat im Kindergarten oder in der Schule die Phrase “Halt die Klappe” aufgeschnappt und probiert sie gleich einmal aus – leider bei den ohnehin schon schlecht gelaunten Eltern. Die Reaktion erfolgt prompt und ohne nachzudenken, sozusagen aus dem Rückenmark. Ein Klaps auf den Mund. So macht man das bei Kindern, die sich ihren Eltern gegenüber respektlos verhalten. So haben es auch schon die Eltern der Eltern und deren Eltern gemacht. Die Eltern sehen keinen Grund, das zu hinterfragen oder zu ändern und für die Tränen und die Verwirrung des Kindes haben sie keine Empathie – das darf jetzt ruhig ein bisschen weh tun, dann merkt es sich’s wenigstens…

Das Kind ist mittlerweile erwachsen und hat selbst Kinder. Es hat viel darüber nachgedacht, wie es seine Kinder beim Erwachsen-Werden begleiten möchte und auch darüber, was es anders machen wird als seine eigenen Eltern. Ganze Listen hat es von Sätzen, die es zu seinen Kindern niemals sagen will, von Gesten, die sich so schmerzvoll in sein Gedächtnis eingebrannt haben, dass es seinen eigenen Kindern diesen Schmerz ersparen will. “Ich mach das einfach nicht”, hat es sich vorgenommen. 

Doch dann kommen sie, die Situationen, in denen sie getriggert werden, die Sätze, die Wörter, die Gesten, die Handlungen. Besonders dann, wenn es ohnehin schon nicht gut drauf ist, aus der Balance, nicht in seiner Mitte. Wenn der Geduldsfaden kurz und die Haut dünn ist. Und manchmal fängt es die eigene Hand auf halbem Weg noch ab – und manchmal ist es nicht schnell genug. Und manchmal ist der Satz nur im Kopf, aber manchmal hört es ihn sich selbst aussprechen und es fühlt sich so falsch an und es kann sich trotzdem nicht davon abhalten. Die Reaktion erfolgt eben prompt und ohne nachzudenken, sozusagen aus dem Rückenmark… Und das Kind beginnt zu ahnen, dass seine Eltern sich vielleicht auch schon in allerlei Hinsicht vorgenommen haben “Das mach ich einfach nicht”. 

 Immer wieder komme ich darauf zu sprechen, wie sehr wir noch am Erbe jener Schwarzen Pädagogik zu kiefeln haben, die scheinbar schon so lange zurückliegt und uns, wenn wir in Generationen denken, doch noch so nahe ist. Die große Friedens-Freiheits-Liebesbewegung der 1960er Jahre gab sich unter anderem der Illusion hin, dass das alles in einem radikalen Umschwung geändert werden könnte, dass einfach ein neues Zeitalter anbrechen würde, in dem “alles anders” ist und man all das Schädliche, Gewaltvolle einfach hinter sich lassen kann.

Der Zug der Zeit hat uns gezeigt, dass es so einfach doch nicht ist. Unser Erbe steckt uns in den Knochen und es braucht die unermüdliche Arbeit einiger Generationen, um diesen Wandel zu vollziehen. Jede Elterngeneration schafft es, ihren Kindern ein bisschen weniger von diesem Gepäck in den Rucksack zu packen. Jede Kindergeneration darf ein bisschen weniger belastet, ein bisschen mehr wahrgenommen, ein bisschen mehr respektiert, ein bisschen wahrhaftiger geliebt aufwachsen. 

 Ich würde es meinen Kindern so sehr wünschen, dass ich ihnen gar nichts in ihre Rucksäckchen packe, dass sie von mir nichts als die uneingeschränkte Liebe und Zustimmung zu ihrem So-Sein, nichts als das grenzenlose Verständnis für ihr Handeln bekämen, das sie verdienen. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Und ich bin auch nur ein Glied in der endlosen Generationenkette. Und ich weiß, dass ich meinen Teil dazu beitrage, wie meine Eltern und Großeltern und Urgroßeltern vor mir und wie meine Kinder und Kindeskinder nach mir, dass unsere Nachkommen irgendwann in vielleicht gar nicht allzu ferner Zukunft wirklich sagen und fühlen können, dass sie das Erbe der schwarzen Pädagogik endgültig hinter sich gelassen haben.

 

Anders Machen heißt doppelt Lernen

Wenn wir also konkret werden, heißt das, dass wir für alles, was wir uns vorgenommen haben, anders zu machen oder nicht zu machen, zwei Dinge lernen müssen: Erstens, wie wir es hinkriegen, nicht so zu handeln, wie es uns unsere Prägung nahe legen würde – und zweitens, wie wir stattdessen handeln wollen. 

Wenn wir beim eingangs erwähnten Beispiel bleiben wollen, heißt das, das mittlerweile selbst in der Elternrolle angekommene Kind muss zwei Dinge lernen: Erstens den Impuls zu kontrollieren, auf respektloses Verhalten des eigenen Kindes mit körperlicher Gewalt zu reagieren – und zweitens, wie es stattdessen reagieren möchte. Gibt es nämlich kein Stattdessen, tritt in stressigen Situationen eine Art Vakuum auf, es wird schlicht und ergreifend nicht wissen, wie es reagieren soll, nur, was es nicht tun will. Und wenn wir in einer Situation keine Handlungsmöglichkeiten sehen, besinnen wir uns gerne auf unsere frühen Prägungen – und dann kann es zu dem vorhin erwähnten Phänomen kommen, dass wir uns auf eine Art und Weise verhalten, von der wir genau wissen, dass wir sie nicht für richtig halten, und uns regelrecht missbilligend dabei beobachten, aber zugleich das Gefühl haben, einfach nicht anders zu können. 

 Was aber können wir nun tun, um unseren Kindern möglichst wenig Belastendes in ihre metaphorischen Rucksäckchen zu packen? Als eure Elternmentorin möchte ich euch auf jeden Fall mitgeben: Diese Arbeit wird einfacher, wenn ihr eine neutrale, wohlwollende, fachlich versierte Person hinzuzieht – also, zum Beispiel mich ;). Aber ich möchte euch trotzdem einmal ein Beispiel geben, wie ich vorgehen würde, wenn zum Beispiel jenes erwachsen gewordene Kind aus dem Anfangsbeispiel sich bei mir melden würde und so etwas sagen wie “Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich mich meinen Kindern gegenüber anders verhalte, als ich das eigentlich will”. 

Als erstes würden wir gemeinsam die Handlungen möglichst konkret benennen, um die es hier geht. In diesem Fall “Ich gebe meinen Kindern einen Klaps auf den Mund, wenn sie etwas sagen, das sie nicht sagen sollen”. Aber es könnte zum Beispiel auch so etwas sein wie “Wenn ich gestresst bin,  zerre ich meine Kinder unsanft am Arm, damit sie endlich mitkommen” oder “Wenn meinem Kind aus Versehen etwas runterfällt, schimpfe ich es aus”… Die Liste kann beliebig fortgesetzt werden.

 Dann würden wir uns ganz genau anschauen, in welchen Situationen das auftritt und gemeinsam Techniken erarbeiten, die es ihm ermöglichen, eben nicht so zu reagieren. Dazu schauen wir vermutlich Beispiele für Situationen an, in denen es ihm gelungen ist, nicht so zu reagieren und greifen auch auf andere Erfahrungen zurück, in denen es ihm gelingt einen Impuls zu kontrollieren. 

 Im nächsten Schritt geht es dann darum, das Stattdessen zu erarbeiten. Wir nehmen dazu unterschiedliche Perspektiven ein, um eine Reaktion zu erarbeiten, die möglichst realistisch, möglichst konkret und möglichst authentisch ist. Denn mit irgendwelchen vorgefertigten Lehrbuch-Phrasen wird es vermutlich nicht weit kommen. Dann geht es schließlich darum, dieses Stattdessen auch einzuüben und anzuwenden. Auch hier können wir uns unterschiedlicher Methoden bedienen, je nachdem, was im konkreten Fall sinnvoll und stimmig erscheint.

Wenn wir auf diese oder andere Weise an uns arbeiten und daran, den Ballast aus unserem eigenen Rucksack nicht einfach unreflektiert in den unseres Kindes umzufüllen, dann tragen wir unseren Teil bei und machen unserem Kind das Leben ein großes Stück leichter, als es auch sein könnte. 

Aber ich bitte euch inständig, euch – und deshalb steht das ganze ja unter dieser Überschrift – bewusst zu sein, dass wir mitten in einem transgenerationalen Lernprozess stecken, und dass niemand von uns die übermenschliche Leistung vollbringen wird, das Steuer von einer Generation auf die nächste komplett rumzureißen. Wer diesen Anspruch an sich stellt, landet – um in der Metapher zu bleiben – auf jeden Fall im Graben: Entweder im Eltern-Burnout oder in der Resignation (“Meine Eltern hatten doch recht!”) oder in der Verleugnung (“Ich mache alles richtig und wer etwas anderes behauptet, der lügt!”). Und in eben diesem Bewusstsein, dass wir nur menschlich sind und nicht immer alles richtig machen, können wir unseren Kindern etwas so unglaublich Wertvolles mit auf den Weg geben:

Fehlerkultur, Selbstakzeptanz, Wahrhaftigkeit

Eine der Prämissen der Schwarzen Pädagogik ist die unanfechtbare Autorität der Eltern. Eltern sind unfehlbar und jede gegenteilige Behauptung ist ein Zeichen der Respektlosigkeit. Das Eingeständnis eines Fehlers käme da einer Selbstdemontage der Autoritätsperson gleich. Da geht ja gleich das ganze mühsam aufgebaute und aufrecht erhaltene Konstrukt den Bach runter… 

Wir aber, die wir für uns den Anspruch erheben, der Schwarzen Pädagogik zumindest schon ein Stück weit entwachsen zu sein, müssen nicht mehr an diesem unrealistischen Bild unserer Unfehlbarkeit als Eltern festhalten, sondern wir dürfen diese Gelegenheit nutzen, um unsere Kinder viel wichtigere Lektionen zu lehren: Sich zu irren und Fehler zu machen, das gehört zum Menschsein dazu. Wie wir aber mit unseren Fehlern umgehen, das macht den wahren Unterschied. Unsere Authentizität und Verwundbarkeit ermöglichen es uns, mit unseren Kindern wahrhaftig in Beziehung zu sein. 

 Wenn wir also etwas getan haben, das uns im Nachhinein – oder sogar schon während dessen – leid tut, haben wir den Mut zur Verletzlichkeit, die Wahrhaftigkeit, die innere Größe, uns bei unseren Kindern zu entschuldigen. Sagen wir, dass wir das nicht hätten tun sollen und was wir lieber stattdessen getan hätten. Sagen wir, dass es uns leid tut. Bieten wir eine Wiederholung oder eine Wiedergutmachung an. Suchen wir eine Lösung, statt uns in Schuldzuweisungen zu ergehen. Bleiben wir liebevoll – mit unseren Kindern und mit uns selbst. 

 Denn das ist die Vorbildwirkung, die sie von uns brauchen. Wie wir mit uns selbst und unseren Fehlern umgehen, prägt unsere Kinder so viel mehr als alles, was wir ihnen predigen. Wir können ihnen noch so oft einbläuen, dass sie sich bei anderen Kindern entschuldigen müssen, wenn sie ihnen weh getan haben. Wenn sie selbst nie die Erfahrung gemacht haben, dass wir uns von Herzen bei ihnen entschuldigt haben, wenn wir sie einmal fester angefasst haben, als es eigentlich okay gewesen wäre, wird das immer nur eine leere Phrase für sie bleiben, die sie pflichtbewusst herunterspulen, wenn sie wissen, dass Erwachsene zuhören, deren Sinn ihnen aber verborgen bleibt.

 Wenn sie jedoch an unserem Vorbild tagein tagaus erleben, dass es einfach dazu gehört, dass man mal etwas macht, was einem hinterher leid tut, dass man danach versucht, die Sache wieder gerade zu rücken und dass weder das eine noch das andere eine Katastrophe ist oder gleich am Selbstwert kratzt, dann haben wir schon viel gewonnen. 

 Und wenn es uns manchmal vielleicht noch ein bisschen schwer fällt, mit diesem liebevollen Blick auf uns selbst zu schauen, dann erinnern wir uns – im Sinne des #Elternmantras “Du bist die Stimme in ihrem Kopf” – daran, dass auch unser Blick auf uns selbst etwas ist, das unsere Kinder sich zu einem Gutteil von uns abschauen. Und wenn ich will, dass mein Kind sich ohne Vorbehalte selbst als das wunderbare Wesen sehen und annehmen kann, das es ist, dann kann ich dazu einen Beitrag leisten, indem ich ihm zeige, wie das geht, sich selbst liebevoll zu begegnen und sorgsam mit sich selbst – und auch den eigenen Fehlern und Lernprozessen – umzugehen ;). 

 

Nächste Woche widmen wir uns dann zur Abwechslung mal wieder einem neuen Thema, bleiben aber bei der Geschichte mit der Vorbildwirkung ;). 

 

***Herzlichen Dank für die Illustration an Orsolya Fodor (@tamatea16 auf Instagram)***

 

Erkennst du dich in diesem Artikel wieder? 
Gibt es bei dir auch solche Sätze oder Handlungsweisen, die du so gerne endlich wirklich hinter dir lassen würdest?
Hast du auch solche Packerl, die du deinem Kind gerne einfach nicht in seinen Rucksack packen würdest?

Dann bist du bei mir mit deinen Themen ganz herzlich willkommen! Melde dich einfach, wir treffen uns persönlich oder online und schauen sie uns gemeinsam an! 

Was es kostet? – Ein kleines bisschen Überwindung, aber das schaffst du schon ;). Und eine Aufwandsentschädigung nach deinem Ermessen :). 

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