“Eine Geburt ist eben kein Strandspaziergang”
Ein Nachtrag zum Roses Revolution Day
"Geburt ist eben kein Strandspaziergang" - Roses Revolution Day
#Tage – Es gibt diese Tage, die eine Bedeutung haben, oder denen eine Bedeutung gegeben wurde… Bisher habe ich solche Fest-, Feier-, Stich-, Gedenk-, Aktions- und sonstigen Tage in diesem Blog nicht weiter bedacht. Aber dann kam der Roses Revolution Day (gestern, am 25.11.) und ich wollte nur ein kurzes, kleines Facebook-Posting dazu verfassen und habe gemerkt, dass ich viel mehr zu sagen hätte, als in so ein kleines Posting passt – und dass ich überhaupt keine Lust hatte, über Bitte, Danke, Entschuldigung und die Magie des Vorbilds zu schreiben, während mir ein anderes Thema so sehr auf der Seele brennt. Also wird der letzte Woche angekündigte Teil 2 kurzerhand auf nächste Woche verschoben (voraussichtlich ;)) und heute möchte ich euch an meinen Gedanken zum Roses Revolution Day, dem internationalen Aktionstag gegen Gewalt in der Geburtshilfe teilhaben lassen.
Ich als Gebärende – Eine Erfahrung
Ich habe zwei Kinder und zwei Geburtsgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die erste fand im Krankenhaus ohne Wahlhebamme und ohne Doula statt, die zweite zuhause, mit Hausgeburtshebamme und Doula. Die erste war traumatisierend, die zweite heilsam.
Als ich gestern in meiner Social Media Bubble über zahlreiche gewaltvolle Geburtserfahrungen gelesen habe, dachte ich mir manchmal “Da bin ich ja noch direkt glimpflich davongekommen…”. Denn ich habe keine körperliche Gewalt erlebt, abgesehen von der mit hoher Wahrscheinlichkeit medizinisch nicht notwendigen Anwendung des Kristeller-Manövers (dabei wird fester Druck von oben auf die Gebärmutter ausgeübt, um das Baby herauszupressen – du weißt danach in etwa, wie sich deine Zahnpastatube fühlt, wenn du den letzten Rest aus ihr herausholst…), ich habe keine dauerhaften Schäden davongetragen, ich wurde nicht direkt beschimpft. Da ging es anderen schon ganz anders. Aber deren Geschichten zu erzählen liegt nicht an mir.
Ich erzähle meine Geschichte, und ich hoffe, damit erkennbar zu machen, wie viel Schmerz unbedachte Worte in der unglaublich sensiblen Situation der Geburt auslösen können. Ich halte die Hebamme, die mich in diesen letzten 3 Stunden dieser Geburt begleitet hat, nämlich – genauso wie die meisten anderen in der Geburtshilfe tätigen Personen – keineswegs für einen per se gewaltvollen Menschen. Ich glaube, sie hatte einfach einen schlechten Tag und/oder ihr fehlte die notwendige Sensibilität für die Auswirkungen ihrer Worte. Für sie war es ein Arbeitstag von vielen, sie hat die Sätze, die sie zu mir gesagt – oder eben nicht zu mir – gesagt hat, wahrscheinlich bis zum Ende ihrer Schicht schon wieder vergessen. Für mich war es einer der besondersten Tage meines Lebens – der Tag, an dem ich Mutter wurde. Ich habe sie nicht vergessen. Und ich werde sie auch nicht vergessen. In meiner Seele haben sie Narben hinterlassen.
Ich befand mich seit etwa 30 Stunden im Ausnahmezustand “Geburt”, als die Hebamme um sieben Uhr morgens den Dienst antrat. Ich war am Ende, entkräftet, verzweifelt, weil so vieles anders gelaufen war als geplant und ich beim besten Willen nicht wusste, wo ich jetzt noch die Kraft hernehmen sollte, dieses Kind zur Welt zu bringen. Ich war an jenem dunklen Punkt, durch den fast jede Gebärende im Lauf der Geburt durch muss, “das Tal der Tränen” nenne ich ihn, und der die Übergangsphase zwischen der Eröffnungs- und der Austreibungsphase markiert. Dass es ganz normal ist, an diesem Punkt völlig zu verzweifeln und nur noch aufgeben zu wollen, das wusste ich damals nicht. Ich war einfach nur hilf- und haltlos wie noch nie. Und was war die Antwort auf meinen Versuch, meinen Zustand auszudrücken in der Hoffnung auf Halt und Unterstützung? “Ja, eine Geburt ist eben kein Strandspaziergang!” – und weil ihr der Satz anscheinend so gut gefallen hat, sagte sie ihn gleich mehrmals, damit er sich so richtig schön in mein Gedächtnis einbrennen konnte…
Nachdem sie die Ärztin geholt und mich untersucht hatte, teilte sie der Ärztin erfreut das Ergebnis mit: “10 Zentimeter” und meinte dann, immer noch zur Ärztin und ohne mich dabei auch nur eines Blickes zu würdigen, gut gelaunt “Na dann, kriegen wir mal ein Kind! 😉”. Ich lag da auf diesem Kreißbett – durch die PDA ohnehin gefühlsmäßig irgendwie abgeschnitten von meiner unteren Körperhälfte und verfolgte fassungslos diesen Dialog. “Aha, ihr beide bekommt jetzt also ein Kind? Und ich?” – Nachdem meine Tochte mit Hilfe des Kristeller Manövers recht abrupt und ohne viel aktives Zutun meinerseits meinen Bauch verlassen hatte, hatte ich auch ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass ich dieses Kind geboren hätte. Viel passender erscheint mir bei dieser Geburt tatsächlich die unsägliche Passivkonstruktion “Ich wurde entbunden”.
Eine Geburt ist ein Ausnahmezustand auf allen Ebenen. Wie könnte es auch anders sein? Um ein neues Lebewesen in unsere Welt zu bringen, muss die Gebärende sich öffnen wie nie zuvor und nie danach. Und mit dieser größtmöglichen Offenheit geht auch die größtmögliche Verwundbarkeit einher. Selbst Frauen, die sonst sprichwörtlich ein “dickes Fell” haben, müssen dieses beim Gebären abstreifen – und jene, die auch sonst schon feinfühlig und sensibel sind, sind dies in der Zeit rund um die Geburt umso mehr.
Während es in anderen Berufen mit Menschenkontakt zwar auch nicht gerne gesehen wird, wenn sich die aktuelle Tagesstimmung im Verhalten gegenüber den Kund*innen oder Klient*innen widerspiegelt, ist es doch keine Katastrophe, wenn der Friseur mal eine genervte Bemerkung macht oder die Installateurin beim Rohre Verlegen nicht zu Small Talk aufgelegt ist. Es gibt aber Berufe, in denen kann das ganz schnell zu einer Katastrophe werden. Hebamme zum Beispiel. Ich halte es daher für unerlässlich, dass Hebammen, sowie alle anderen Personen, die beruflich mit Gebärenden, Schwangeren und Wöchnerinnen arbeiten, in Aus- und Fortbildung dahingehend gründlich geschult werden.
Außerdem wissen wir alle, dass es uns leichter fällt, achtsam, aufmerksam und sanft zu sein, wenn wir nicht gleichzeitig, gestresst, überarbeitet und unter Druck sind. Aus meiner Sicht, sind also bessere Arbeitsbedingungen für das medizinische Personal der zweite große Puzzlestein zur Lösung des Problems. Denn die völlig überarbeiteten Hebamme, die gleichzeitig mit mir noch fünf andere Gebärende begleiten muss, und das, obwohl sie schon die zweite Nacht in Folge nicht geschlafen hat, verliert nun einmal schneller die Geduld…
Ich als Doula – Eine Brückenbauerin
Seit jenem Tag sind mittlerweile einige Jahre ins Land gezogen. Ich habe die Erfahrung gut bearbeitet, weshalb ich mich mittlerweile auch damit wohlfühle, sie als für ein Phänomen exemplarische Geschichte zu teilen. Ich erlebte die Geburt meiner zweiten Tochter als sehr heilsame und transformierende Erfahrung. Und ich vernahm, erst zaghaft und leise, dann immer lauter und deutlicher, schließlich unüberhörbar den Ruf, selbst als Doula zu wirken. Meine zwei so unterschiedlichen Geburtserfahrungen sind starke Triebfedern: Dazu beizutragen, anderen Gebärenden das zu ersparen, was ich durchleben musste – und das weiterzugeben, was ich erleben durfte.
Wir werden das System nicht von heute auf morgen ändern, aber als Doula sehe ich meine Aufgabe ganz stark im Bauen von Brücken zwischen dem, wie es eben leider im Moment noch ist und dem, wie es eigentlich sein sollte und hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft sein wird.
Bin ich als Doula die Heldin in glänzender Rüstung, die sich mutig vor die Gebärende wirft, um sie vor den Übergriffen des großen, bösen Systems zu schützen? Nein! Und wer mich kennt, findet diese bildliche Vorstellung vielleicht ungefähr gleich lustig wie ich ;).
Ich bin eher eine sanfte Kraft im Hintergrund. Ich kann dich schon im Vorfeld bei der Einstimmung auf die Geburt, beim Vertraut Werden mit diesem außergewöhnlichen Prozess begleiten, dich darin unterstützen, die Kraft und die Magie wahrzunehmen, die dir in dieser Zeit innewohnen. Ich kann dich zur Geburt begleiten und einfach da sein. Die ganze Zeit. Auch wenn du keine eigene Hebamme hast und sich die Geburt vielleicht über mehrere Schichtwechsel zieht – ich kann eine Konstante an deiner Seite sein. Ich kann so viel Ruhe und Zuversicht ausstrahlen, dass der Stress und die Hektik des Krankenhausalltags dahinter verschwinden und dass du dich daran festhalten kannst, selbst während du selbst gerade durchs Tal der Tränen gehst. Ich kann dir die Gewissheit vermitteln, dass du wahrgenommen, dass du verstanden wirst. Ich kann dir erklären, was gerade passiert und warum. Ich kann der Hebamme einen Kaffee machen oder einen Schokoriegel zustecken. Es sind die kleinen Dinge, die den großen Unterschied machen. Und ich kann auch danach für dich da sein, wenn du über dein Geburtserlebnis sprechen möchtest, wenn du noch Fragen zum Geschehenen hast, wenn du es immer wieder erzählen möchtest, um es zu verarbeiten, zu begreifen – denn Geburt ist immer eine große Erfahrung, auch wenn sie nicht traumatisch war, die danach ver- und bearbeitet werden will, um integriert zu werden.
Schlusswort
Heute ist der 26. November. Der Tag nach dem Roses Revolution Day. Ich wünsche mir, dass es in ein paar Jahren einen 26. November gibt, an dem die Hebammen auf den Geburtsstationen sich anschauen und fragen “War gestern nicht der 25.? Wir haben schon lang keine Rosen mehr bekommen…” und an dem die Pinnwände der einschlägigen Facebook Seiten einfach leer bleiben, weil es keine Geschichten mehr zu erzählen gibt, die zu ihren Überschriften passen und an dem beschlossen wird, dass es diesen Aktionstag einfach nicht mehr braucht, weil Geburt und Gewalt außer ihren Anfangsbuchstaben nichts mehr verbindet…
***Ganz besonders herzlichen Dank an Orsolya Fodor (@tamatea16 auf Instagram), die für diesen sehr spontanen Artikel diese bezaubernde Illustration in Windeseile geschaffen hat!***
Eine gute Bekannte von mir arbeitet auch in der Geburtshilfe und berichtet häufig von ihren Erfahrungen. Sie ist auch der Meinung, dass es ein sehr harter Job sein kann. Deshalb habe ich großen Respekt vor dieser Arbeit.