Gefühle sind wie das Wetter
unberechenbar, wandelbar, wunderbar
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#Elternmantras nenne ich kleine Sätze, Zeilen oder Wörter, die ich mir im Elternalltag immer wieder selbst vorsage, und die mir dabei helfen, mit gewissen Situationen oder Emotionen besser zurecht zu kommen. In dieser Serie möchte ich einige davon mit euch teilen – auf dass sie auch euer Elternleben entlasten und bereichern können.
Heute möchte ich euch ein #Elternmantra vorstellen, das mir hilft, wenn meine eigenen Gefühle oder die meiner Kinder mich zu überwältigen drohen. Da ich uns alle drei als gefühlsstark bezeichnen würde, erleichtert es mir wirklich ziemlich oft das Leben: “Gefühle sind wie das Wetter“. Was aber verbindet nun die emotionalen und die meteorologischen Phänomene miteinander und in welchen Situationen ist es hilfreich, sich diese Parallelen in Erinnerung zu rufen?
Wir können nicht beeinflussen, was kommt – aber wie wir damit umgehen
Habt ihr schon mal gespürt, wie sich in euch ein Gefühl breit macht, das ihr in der gegebenen Situation als unangebracht empfunden habt? Und habt ihr dann versucht, dieses Gefühl einfach abzustellen? Und habt ihr dann auch festgestellt, dass dieses Unterfangen ungefähr so aussichtsreich ist wie der Versuch, ein aufziehendes Gewitter zum Abdrehen zu bewegen?
Dann wisst ihr ja, was ich meine! Welche Wetterphänomene Mutter Natur heute für uns bereithält, können wir ebensowenig beeinflussen, wie welche Gefühle aus den Tiefen unseres Unbewussten aufsteigen. Was wir allerdings sehr wohl beeinflussen können, ist, wie wir mit dem umgehen, was da kommt: Wir können auf das Wetter schimpfen, wenn es uns gerade nicht in den Kram passt. Wir können ignorieren, dass das Wetter nicht mit unseren Plänen zusammenpasst und im kurzen Sommerkleidchen rausgehen, weil der Kalender Juli zeigt, auch wenn es draußen regnet, stürmt und das Thermometer auf 17 Grad steht. Oder wir können wahrnehmen und annehmen, wie es gerade ist, und unser Verhalten, unsere Kleidung, unsere Ausrüstung den aktuellen Gegebenheiten anpassen.
Klingt total logisch, solange wir über das Wetter reden, oder? Aber ist es nicht mit unseren Gefühlen und denen unserer Kinder ganz ähnlich? Und doch passiert es bemerkenswert oft, dass wir sie eben nicht einfach hinnehmen und uns darauf einstellen wie auf das Wetter, sondern sie bewerten – ja manchmal sogar sanktionieren -, sie negieren und nicht wahrhaben wollen, wenn sie uns unangebracht oder unangenehm erscheinen, sie wegschieben und bagatellisieren,… Und das ist furchtbar anstrengend, oder? Mindestens so anstrengend, wie ein Picknick im Sommerkleidchen bei 17 Grad im Regen durchzuziehen… Für mich bringt die Analogie mit dem Wetter eine unglaubliche Erleichterung, weil ich die ganze Energie, die ich früher darauf verwendet habe, zum Beispiel darüber zu verzweifeln und dagegen zu kämpfen, dass jetzt dieses oder jenes Gefühl auf der Bildfläche erscheint, obwohl es mir gerade gar nicht in den Kram passt, darauf verwenden kann, diesem Gefühl seinen Raum zu geben und zu schauen, wie ich in dieser Situation gut damit umgehen kann. Und dann bleibt sogar noch etwas Energie über, weil das nämlich immer noch viel weniger anstrengend ist. Und weil Gefühle – im Unterschied zum Wetter – oft die Tendenz haben, intensiver zu werden, wenn sie nicht wahrgenommen oder beiseite geschoben werden.
Ganz abgesehen davon, dass wir auf diese Weise unseren Kindern Tag für Tag eine unglaublich wichtige Botschaft senden, die unerlässlich für den Aufbau jenes gesunden Selbstwertgefühls ist, das wir uns alle für sie so sehr wünschen: “Du bist wunderbar und angenommen, ganz genau so wie du bist!” Und wenn wir schon dabei sind, können wir auch etwas für unsere eigene Selbstfürsorge tun, indem wir dieselbe liebevolle Akzeptanz, die wir unseren Kindern schenken, auch uns und unseren eigenen Gefühlen schenken. Denn erstens machen wir uns damit das Leben ein bisschen leichter und ein bisschen schöner – und warum sollten wir das nicht wollen? Zweitens profitieren Kinder ungemein von Eltern, die mit sich selbst genauso pfleglich umgehen wie mit ihnen. Drittens ist Eltern Sein so schon eine große Herausforderung auf der emotionalen Ebene: Die Stimmungsschwankungen und heftigen Gefühlsausbrüche in der Schwangerschaft sind da erst der Anfang, und zugleich ein wunderbares Übungsfeld für den Umgang mit den eigenen Gefühlen. Doch auch in den folgenden Jahren lösen unsere Kinder immer wieder so starke, oft unerwartete und widersprüchliche Emotionen in uns aus, wie sonst kaum jemand oder etwas… Da müssen wir es uns nicht unbedingt noch schwerer machen. Packen wir also unseren metaphorischen Regenschirm aus, wenn es regnet, auch wenn wir es nicht unbedingt nachvollziehen können, dass es jetzt regnet, obwohl der Himmel gerade noch blau war und diese klitzekleine Wolke doch eigentlich wirklich kein Grund zum Regnen wäre…
Gutes Wetter, schlechtes Wetter?
“Heute ist aber schlechtes Wetter!” motzen die Sonntagsausflügler, wenn sie morgens die Regentropfen gegen die Fensterscheibe prasseln hören. “Endlich gutes Wetter!” seufzt die Bäuerin, die schon Sorge hatte, dass ihr das Getreide am Feld vertrocknet, beim gleichen Geräusch erleichtert. “Was für ein himmlisches Wetter!“, flötet die Zucchinipflanze und lässt genüßlich ihre Früchte wachsen, während die Karotte nebenan unter der Hitze stöhnt, resignierend das Grün hängen lässt und lustlos ein kleines Würzelchen in die Erde streckt.
Was ich sagen will: Kein Wetter ist per se gut oder schlecht. Alles erfüllt seinen Zweck und hat seinen Grund. – Wir denken jetzt nicht an extreme Wetterereignisse wie fast jährlich wiederkehrende Jahrhundertfluten. Da tu ich mir mit der Zuschreibung von Sinn und Zweck auch ein bisschen schwer. Ihre Gründe haben sie definitiv, auch wenn manche die nicht wahrhaben wollen, aber das ist jetzt ein gaaanz anderes Thema. – Wir bleiben für unsere Analogie also bei den üblichen Wetterzuständen, die uns so über’s Jahr verteilt begegnen: In manchen Zeiten ist es eher kühler, in anderen wärmer; mal kommt es eher feucht von oben, dann ist es wieder trocken; mal bläst der Wind mehr, mal weniger, und so weiter. Manchmal ist es uns angenehm, wie das Wetter heute ist, manchmal finden wir es unangenehm. Aber unterm Strich wissen wir, dass es alle Facetten braucht, damit die Natur gedeihen kann.
Und genau so verhält es sich mit unseren Gefühlen. Da gibt es die “Schönwettergefühle”, die immer gern gesehen sind. Freude, Glück und Heiterkeit – das sind die Äquivalente eines sonnigen, warmen aber nicht zu heißen Frühsommertages. Da kann eigentlich keiner was dagegen haben. Und dann gibt es da die “Schlechtwettergefühle”: Wut, Zorn, Angst,Trauer – das sind die ungebetenen Gäste, die einen schlechten Ruf genießen, die viele am liebsten einfach abschaffen oder zumindest verdrängen würden, wie sie den Regen, den Sturm und das Gewitter am liebsten abschaffen würden.
Doch ohne Regen keine üppige, blühende Pflanzenwelt, ohne Wind keine Verbreitung der Samen… Und ich meine jetzt nicht einmal diese abgedroschenen Floskeln à la “Du musst das das Schlechte kennen, um das Gute zu schätzen zu wissen”. Nein, ich meine die Tatsache, dass wirklich jedes Gefühl in unserem reichhaltigen Repertoire seinen Sinn und Zweck erfüllt, wenn wir es nur lassen! Wut zum Beispiel beinhaltet so viel Veränderungsenergie, wenn wir sie richtig kanalisieren! Die vergeben wir uns aber, wenn wir sie entweder nicht zulassen und daher so sublimieren, dass es nur in uns drinnen vor sich hin brodelt, was wiederum wahnsinnig viel Energie zieht, oder sie sich so lange aufstauen lassen, dass sie dann irgendwann einfach unkontrolliert explodiert…
Heftig und plötzlich
Gerade sind wir noch gemütlich bei Sonnenschein auf der Terrasse gesessen und haben geplaudert, da verdunkelt sich plötzlich der Himmel bedrohlich und der auffrischende Wind lässt uns eilig ins Haus flüchten, während bereits die ersten großen, schweren Tropfen fallen und bald darauf der erste Donner grollt. Doch ebenso plötzlich, wie es gekommen ist, verzieht sich das Gewitter wieder und die tropfenden Blätter des Kirschbaumes glitzern im Sonnenlicht, während sich ein Regenbogen über den Horizont spannt.
Die Kinder spielen so idyllisch in der Sandkiste, dass wir ganz leise die Kamera zücken, um möglichst unauffällig diesen besonderen Moment einzufangen – doch kaum haben wir uns umgedreht, wird es plötzlich laut, die Gesichtchen färben sich rot, die Tränen spritzen in alle Richtungen, Schaufeln und Kübel fliegen und es wird ewige Feindschaft geschworen – “Du bist nicht mehr meine Freundin!“, “Ich spiel nieee wieder mit dir!“. Noch während wir überlegen, wie wir den restlichen Nachmittag unter diesen Bedingungen gestalten könnten, hocken die ewigen Feindinnen bereits wieder in friedlicher Eintracht unter dem Hollerbusch und machen Husch-husch-husch.
Was wir also auch vom Wetter über unsere Gefühle lernen können: Manchmal schlagen sie plötzlich und unerwartet um – und zwar in alle erdenklichen Richtungen. Manchmal gibt es heftige Ausbrüche, die einen erschaudern lassen und in den Grundfesten erschüttern würden, wenn wir nicht genau wüssten, dass gerade die heftigsten Gewitter auch die sind, die besonders schnell vorbeigehen…
Mir hilft das Bild vom Gewitter, meine Kinder durch heftige Gefühlsausbrüche zu begleiten und dabei selbst ruhig zu bleiben. Allzu leicht lässt man sich von den intensiven Gefühlen anstecken oder wird panisch, weil man glaubt, man müsste doch irgend etwas tun, um dem armen Kind zu helfen (oder um das Geschrei endlich abzustellen – je nach Situation und eigener aktueller Grundstimmung). Dann hilft es, selbst tief durchzuatmen und sich daran zu erinnern, dass unsere Aufgabe darin besteht, ein Fels in der Brandung der stürmischen See dieser Kinderseele zu sein – einfach da und stabil und selbst in Ruhe, ohne großartig etwas zu tun. Nicht mehr und nicht weniger. Dass das der wertvollste Beitrag ist, den wir leisten können, um unserem Kind zu helfen, wieder zur Ruhe zu kommen.
Und nach einem Gewitter, in dem die Wolken sich so richtig ausgeregnet haben und alle Spannung sich in Blitz und Donner aufgelöst habt, da ist die Luft so rein und frisch wie sonst nie, der Himmel glänzt blitzblau wie poliert und die Welt um uns verströmt einen unvergleichlichen Duft. Ebenso reinigend und im Endeffekt entspannend kann ein emotionales Gewitter sein. Wer schon einmal ein Kind durch einen richtig heftigen emotionalen Ausbruch begleitet hat, mit Blitz und Donner, Schreien und Tränen und allem, was dazu gehört, und dann das Kind, das eben noch so gewütet hat, mit einem Mal ganz weich und entspannt in den Armen gehalten hat – beide erschöpft, wie die Bäume, denen nach dem Gewitter noch die schweren Tropfen von den vom Wind gezausten Blättern rollen – und im nächsten Moment staunend beobachtet hat, wie es fröhlich davon gehopst ist und ausgelassen gespielt hat, in vergnügtem Einklang mit sich und der Welt, der*die weiß, was ich meine…
Die Sache mit dem Wetterbericht…
Ganz am Ende noch eine kleine Parallele zwischen der Welt der Wetterphänomene und der unserer Gefühle: Schon immer waren Menschen bestrebt, das Wetter vorherzusagen, zu erklären und nach den eigenen Vorstellungen zu beeinflussen. Und schon immer war das nur begrenzt möglich. Deshalb gibt es Bauernregeln und Regentänze und aus diesem Bestreben hat sich die ganze Wissenschaft der Meteorologie entwickelt. Und obwohl wir mittlerweile über erstaunlich akkurate Wetterberichte verfügen, liegen sie doch nicht immer ganz richtig Ein bisschen Unberechenbarkeit, so scheint es, wohnt dem Wetter einfach inne.
Und ähnlich verhält es sich mit den menschlichen Emotionen: Wie viele Gedanken haben sich kluge Leute seit Menschengedenken darüber gemacht! Wie gründlich erforscht ist die menschliche Psyche mit einer Vielfalt unterschiedlichster Methoden! (Obwohl ich fast vermuten würde, dass das Wetter immer noch besser erforscht ist als die Tiefen und Untiefen unserer Seelen…) Wenn wir uns gut auskennen und zusätzlich zu unserem Wissen auch über eine gute Intuition verfügen, können wir in vielen Situationen im Vorfeld absehen, welche Gefühle da mitspielen werden und uns darauf vorbereiten; können wir Ursachen und Ursprüngen von Gefühlen auf die Schliche kommen. Und dennoch wird es immer diese Situationen geben, in denen es plötzlich gewittert, obwohl der Wetterbericht nichts davon gesagt hat, oder die Sonne scheint, obwohl die Voraussage Wolken und Regen verheißen hat…
Jetzt bin ich aber gespannt auf eure Erfahrungen! Habt ihr diese Analogie bereits gekannt? Könnt ihr sie nachvollziehen? Fallen euch noch andere Aspekte ein, in denen unsere Gefühle sind wie das Wetter? Was tut ihr, um euren Kindern während heftiger Gefühlsgewitter ein Ruhepol sein zu können?
Ich freue mich auf eure Geschichten und gerne auch Fragen und Anregungen in den Kommentaren!
Und schaut doch nächste Woche wieder vorbei, zum nächsten #Elternmantra!
***Herzlichen Dank für die Illustration an Orsolya Fodor (@tamatea16 auf Instagram)***
Literaturhinweise:
Mehr zum Thema Gefühlsstärke findet ihr in diesem wunderbaren Buch: Nora Imlau: “So viel Freude, so viel Wut. Gefühlsstarke Kinder verstehen uns begleiten.”
Das Mantra ist nicht ganz auf meinem Mist gewachsen. Ich glaube, ich habe es in “Die Kunst, gelassen zu erziehen. Achtsamkeit im Leben mit Kindern.” von Lienhard Valentin und Petra Kunze erstmals gelesen.
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